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Aitiologien in den Wirklichkeitserzählungen der Naturwissenschaften: Zur epistemischen Funktion von Ursprungs(re)konstruktionen

Teilprojekt 7

PD Dr. Georg Toepfer
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V.

Liola Mattheis M.A.
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V.

In dem Projekt sollen die weit verbreiteten aitiologischen Verfahren der historischen Naturwissenschaften untersucht werden – einerseits in ihrer Bedeutung für die Naturwissenschaften selbst, andererseits in ihrer Rezeption im Rahmen kritischer Gesellschaftstheorien. Die leitende Frage lautet, wie im Rahmen aitiologischer Argumentationen Gegenwärtiges über die Darstellung historischer Verläufe, einschließlich des Konstruierens und Rekonstruierens von signifikanten Anfangspunkten von Entwicklungen, verstanden, erklärt und kritisiert wird.

Unterprojekt 7.1: Begriffe, Bilder und Verfahren aitiologischer Narrative in den historischen Naturwissenschaften (PD Dr. Georg Toepfer)

Ziel des Unterprojektes ist es, die erklärenden Evolutionserzählungen in den Biowissenschaften hinsichtlich ihrer Begriffe, Bilder, Verfahren und Instrumentalisierungen sowie der epistemischen Funktionen und des fiktionalen Status der Ursprungsstrukturen zu analysieren. Gefragt werden soll nach der empirischen Zugänglichkeit der postulierten Ursprünge, ihrem kontrollierten fiktiven Gehalt, ihrer narrativen Einbindung und explanativen Reichweite. Dabei soll das Spezifische der naturwissenschaftlichen Aitiologien und ihre Differenz zu kulturellen Mythen und Ideologien bestimmt werden. Ein Ziel des Unterprojekts ist es dabei schließlich auch, am Beispiel der Aitiologien das Wechselspiel und Ineinander von Fiktionalität und Faktizität, Konstruktion und Rekonstruktion, sowie Narration und Explanation in den historischen Lebenswissenschaften zu untersuchen. Die grundlegende Hypothese lautet, dass der Konstruktion eines Ursprungs in den Argumentationen der historischen Naturwissenschaften eine ähnliche, das Mannigfaltige der Erscheinungen ordnende und vereinheitlichende Funktion zukommt wie den Gesetzen in den nomologischen Naturwissenschaften.

Unterprojekt 7.2: Kritische Rekapitulationen: Wiederholte Ursprünge zwischen Evolutionsbiologie und marxistischer Theorie (Liola Mattheis)

Während das Rekapitulationsparadigma zum beliebten Objekt kritischer Analysen geworden ist, verbleibt sein Wirken innerhalb kritischer Theorien der Gesellschaft wenig untersucht. Dabei beeinflusste die Annahme, dass Individualentwicklung die Speziesevolution wiederhole („rekapituliere“), auch insbesondere marxistische Positionen anhaltend, vom klassischen Marxismus bei Friedrich Engels zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule bei Herbert Marcuse und darüber hinaus. Mit philosophischen, literaturwissenschaftlichen und wissensgeschichtlichen Methoden beleuchtet das Promotionsvorhaben also die sich wandelnden Überträge zwischen Evolutionsbiologie, Psychoanalyse und Marxismus. Im Sinne einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit ambivalenten theoretischen Vermächtnissen umkreist das Vorhaben die folgenden Fragen: Wie prägt die Rezeption der Rekapitulationstheorie (dis-)kontinuierlich sozialkritische Analysen und Programme? Wie dynamisieren die narrativen und rhetorischen Operationen der Rekapitulation (wie v.a. Wiederholung, Kondensation, Akzeleration, Parallelisierung und Synekdoche) die Aitiologien sozialer und psychisch-subjektiver Formen in kapitalistischen Systemen? Welche Bedeutung hat die rekapitulative Relationalisierung verschiedener Entwicklungsebenen für postmarxistische Gegenwartsdiagnosen, insbesondere im sogenannten Kapitalozän?